Sein Schriftstellerportrait - Lyssy E.

(K) ein Schriftsteller Portrait

Das hatte ich mir viel einfacher vorgestellt. Schliesslich war ich ein alter Hase im Portraitieren von Persönlichkeiten oder Personen, die sich für solche hielten. Ausgerüstet mit meinem Standart 16 Fragenkatalog hatte ich mich ans Telefon gesetzt und die Nummer gewählt. In der Regel liesse sich ein solches Portrait auch ohne einen Besuch bei der Zielperson abfassen. Wenn ich dennoch einen Besuchstermin vereinbare geschieht dies einzig, um die Eitelkeit des Beschriebenen zu befriedigen und um ein paar Bilder zu schiessen, die für den phantasielosen Leser nötig sind.

Doch wie ich da sass und mich über das eben gehörte wunderte, fiel mir wieder ein, wie ich überhaupt zu dieser Telefonnummer kam. Beatrice Müller hatte mir einen Zettel zugesteckt: "Ruf da mal an!“ Gedankenlos habe ich ihn eingesteckt und als letzte Woche die Redaktion anrief und wissen wollte, ob ich mit dem Portrait für die Januar Ausgabe schon weitergekommen sei? Habe ich grossartig, ja gesagt und hinzugefügt: "Montag kann ich liefern!“

"Keine Photos, keine Angaben zu meiner Person, weder Hautfarbe noch Alter noch Aufenthaltsort, Sie werden nur über meine Arbeit schreiben!“ Damit war die Hälfte meines Fragenkataloges Makulatur und die Neugier auf diese eigenwillige Person umso grösser.
"Wie darf ich Sie denn nennen?“
"Martina Franca“
"Oh, Martina Franca, die Kämpferin für die Wahrheit?“ fragte ich begeistert zurück.
"Nein, die Martina Francas sind eine vom Aussterben bedrohte Esel Rasse.“
Etwas versöhnlicher erklärte sie mir schliesslich, wo ich sie finde und beendete das Gespräch abrupt mit: "Nehmen Sie das 11.00 Uhr Schiff.“

Das 11.00 Uhr Schiff erreichte um 11.10 Uhr seine Destination. Eine einzelne Person stand am Steg, da sie keine Anstalten machte einzusteigen, nahm ich an es sei Frau Franca.
"Frau Franca?“
"Nein, nicht Frau Franca, Martina Franca, in Frau Franca sind zu viele Frn’s.“

Von meinem Fragenkatalog waren noch die Fragen nach dem Antrieb, dem Motiv, den Schwierigkeiten und der Bedeutung ihrer Arbeit für sie, übrig geblieben. Aber nach dem Empfang konnte ich nur hoffen, dass sie von sich aus auf diese Punkte zu sprechen kam. In mir stieg das Gefühl hoch, grundsätzlich noch nie etwas begriffen zu haben, und damit noch nie etwas Richtig gemacht zu haben. Klein und eklig fühlte ich mich plötzlich.
"Nein, das hat nichts mit Ihnen zu tun,“ sagte Martina Franca in dem Augenblick, als hätte sie meine Gedanken gelesen und fährt fort, "ich will ganz und gar unerkannt bleiben. Ein blinder Passagier auf dem Literatur Meer. Nur so kann ich zuhören, aufnehmen, aneignen und schliesslich das eigentliche, das Eigene gestalten.“

"Hat dieses Eigene bereits eine Form, eine Gestalt?“ frage ich mutig.

"Oh, ja eines Tages werde ich die Farbenkonferenz mit der Tonspirale und diese beiden schliesslich mit der Geruchorgie vereinen. Meine Arbeit besteht darin, die Bausteine dieser drei Dimensionen zusammen zu tragen. Sie nebeneinander zu legen, ihnen zu zusehen und jede ihrer Aktionen, Reaktionen und Interaktionen festzuhalten.“

Und ohne meine Reaktion abzuwarten spricht sie weiter: "Genau so wenig wie Sie das verstehen, werden es ihre Leser verstehen. Und immer dann, wenn Unverständnis herrscht, klammern sie sich an Äusserlichkeiten. Und dann heisst es: ganz klar, mit der Herkunft, in dem Alter, usw. als hätte das tatsächlich etwas damit zu tun. Sie merken nicht einmal, dass sie plötzlich über das Gefäss statt den Inhalt reden. Dass sie das Gefäss für den Inhalt verantwortlich machen. Das Gefäss zu ihrem Inhalt machen. Das muss ich um jeden Preis verhindern. Und verhindern kann ich das nur, wenn es mich in keiner fassbaren Form gibt.
Mehr noch, mein Werk kann nur gelingen, wenn es mir auch gelingt, mich zu vergessen.“
Und nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: "Es ist schwierig sich selber zu vergessen, sehr schwierig.“

"Das sich selber vergessen, das ist ein zentraler Punkt Ihrer Arbeit?“
"Ja, um der Sache gerecht zu werden!“
" Der Sache?“
"Die Sache, die nach der Vereinigung von Farbe, Ton und Geruch verlangt. Dies sind die Sachen, die unser Wesen prägen. Grundsätzlich dürften wir uns erst Mensch nennen, wenn wir dies begreifen können. Haben wir es begriffen, dann muss es uns gelingen in sie zu versinken, uns mit ihnen zu vereinen, mit ihnen zu verschmelzen.“
Das sagte sie so schwärmerisch, dass ich den Eindruck hatte, als wüsste sie genau wovon sie sprach. Und als hätte ich sie bei etwas Unanständigem ertappt, röteten sich ihre Wangen ganz leicht, sie blickte mich kurz an und dann gleich wieder auf den See hinaus und sagte, mehr zu sich selber als zu mir: "Jedes Wort enthält seine eigentliche Mitteilung im Klang der Farbe seiner Buchstaben Komposition.
Heute ist einzig die Gebrauchs bedingte Bedeutung der Worte noch bekannt. Und wenn einer spricht oder schreibt, dann reiht er aneinander und das reicht ihm dann auch schon. Auf der anderen Seite werden sie gehört oder gelesen und schon glaubt einer er hätte etwas verstanden. Damit haben wir die Fähigkeit, das eigentliche Wort, in seinem eigentlichen Sinn zu verstehen, verlernt.“

Ich versuchte sie verständnisvoll, intelligent anzusehen und bitte um ein Beispiel.

"Sagen Sie laut "b“, einfach nur "b“, wieder und wieder…!“
…so be-be-bte ich eine Weile unter ihrem gestrengen Blick vor mich hin und wurde zusehends ratloser, schlaffer, ja, gar lampig und schliesslich beinahe wohlig schläfrig.

"Jetzt ein Wort mit b!“
"Bett“
"Ausgezeichnet, sehr gut!“

Die Begeisterung in ihrer Stimme über mein "Bett“, verwirrte mich erneut. Ohne Rücksicht fuhr sie fort: "Ein schönes Wort, gelb mit rot und einem Hauch von blau! Riechen Sie es?“

Damit sass ich wieder da und sah ihr verständnislos, beim seelig auf den eisig kalten See Hinauslächeln zu, verrückt in ihre Welt.

Ich räusperte mich, es war kein Ort an dem ich vergessen gehen wollte. Ich war erleichtert, als sie sich mir wieder zuwandte und sagte:
"Sehen Sie, der "e“ ist die Stimme, der Ausdruck für die ihn umgebenden Konsonanten.
"b“ bringt etwas zu Ende, zusammen mit "e“ ergibt sich ein Übergang zu einem Neuanfang. Im "t“ liegt die Tat, die hier ganz eindeutig beim ersten im Hinlegen, Einschlafen und beim zweiten im Träumen auftritt, darum müssen es auch deren zwei sein.“

Sie sieht mich kurz an und schaut erneut auf den See, seufzt:
"Gut, versuchen wir es so: Sind Sie einverstanden mit dieser Gleichung:
‚Was lebt bewegt, was bewegt lebt, das bedeutet: bewegen ist leben.’ “

Und ohne mein Einverständnis abzuwarten fährt sie fort: “
b Anfang/Ende
e Richtung
weg ist selbsterklärend nicht wahr, das verstehen sogar Sie?
e erneut die Richtung
n der Übergang, ersichtlich aus seiner Bauweise.

Das alles tun Sie, wenn Sie sich bewegen um zu

l die Liebe, die Hingabe des Herzens. Der Verstand hat im L keinen Platz. Erstaunlich nicht, dass unser teuerstes, unser Leben, keinen Platz hat für den Verstand.
e Richtung
b ein Ende/Anfang
e folgt sogleich, denn jedes Ende verlangt nach einem Anfang und dieser erneut nach einer Richtung.
n der Übergang ist auch schon gegeben.

Ist diese einfache Weisheit nicht wunderlich? Viel klarer noch ist die Sprache der Satzzeichen, möchten Sie…?“

"Danke, vielen Dank – wann sagten Sie, fährt das nächste Schiff?“


Maienfeld, 22. November 2006

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